Erbausschlagung eines Sozialhilfeempfängers sittenwidrig?

Von Rechtsanwalt/Steuerberater/vereidigter Buchprüfer G.-B. Sprißler

Neue Akzente durch das Landessozialgericht Bayern

Immer wieder gibt es die Empfehlung, die Vermögensnachfolge entweder zu Lebzeiten vorzunehmen oder zumindest durch ein Testament oder einen Erbvertrag zu regeln. Geschieht dies nicht, können Probleme vorprogrammiert sein. Dies gilt umso mehr, wenn zu den gesetzlichen Erben, d.h. insbesondere zu den Kindern auch Behinderte zählen.

Mit einem derartigen Fall hatte sich jetzt das Landessozialgericht Bayern zu befassen. Der Vater hatte wohl umfängliches Privat- und Firmenvermögen, jeweils rd. 500.000,- €, zusammen knapp 1 Millionen €.

Er hatte neben zwei „wohlgeratenen“ Töchtern auch einen Sohn, der seit dem 12. Lebensjahr an psychischen Problemen litt und von der Sozialhilfe lebte, teilweise auch wohl in Einrichtungen untergebracht war. Nach dem Tod des Vaters hatte er den auf ihn entfallenden Erbteil aus allen Rechtsgründen ausgeschlagen.

Das zuständige Sozialamt war damit nicht einverstanden und leitete die Ansprüche des Ausschlagenden auf Herausgabe des gesetzlichen Erbteils auf sich über. Zur Begründung berief es sich auf Sittenwidrigkeit der Ausschlagung.

Die übrigen Erben wollten diesen Verwaltungsakt, also die Überleitung mit dem Antrag auf Einstweiligen Rechtsschutz angreifen. Dabei handelt es sich um ein „Eilverfahren“, um die Überleitung als solche anzugreifen. Sowohl das Sozialgericht als auch jetzt das Landessozialgericht sahen diesen Antrag als nicht gerechtfertigt an. Interessant sind dabei einmal die rechtlichen Überlegungen. Zum einen handelt es sich um eine Vorfrage, nämlich die Frage, ob ein derartiger Überleitungsverwaltungsakt rechtmäßig ist. Nicht entschieden wird durch das Verfahren nämlich, ob die Ausschlagung tatsächlich sittenwidrig war.

Gleichwohl hat das Landessozialgericht eine eindeutige Rechtsauffassung bezogen. In Abweichung zu der höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.01.2011 ist es nämlich der Überzeugung, dass eine Ausschlagung zur Vermeidung des Umstands, dass dann die öffentliche Hand nicht mehr Leistungen erbringen muss, sittenwidrig sein kann. Zwar hatte der Bundesgerichtshof bei einem Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialhilfebeziehers geurteilt, dass darin keine Sittenwidrigkeit gesehen werden kann. Das Landessozialgericht sieht aber einen substantiellen Unterschied zur Erbausschlagung. In dem entschiedenen Fall hatten im Übrigen nicht nur das behinderte, sondern auch die übrigen Kinder auf den Pflichtteil verzichtet, und zwar zu Gunsten der Mutter, um die Regelungen des Berliner Testamentes umsetzen zu können. Damit war verbunden, dass neben dem überlebenden Elternteil (der Mutter) dann auch das behinderte Kind in den Genuss des Nachlasses kommen würde. Hier wäre die Ausschlagung nur zu Lasten des Sozialhilfeträgers und zu Gunsten der übrigen Kinder ausgefallen.

Da für die letztendliche Entscheidung, ob die Ausschlagung sittenwidrig ist, nicht die Sozialgerichte, sondern die Zivilgerichte berufen sind und das Sozialamt nur diese Fragen, nämlich ob Sittenwidrigkeit vorliegt, klären lassen will, war dem Antrag auf als Einstweiligen Rechtsschutz bei den Sozialgerichten nicht stattzugeben.

Weitere Hinweise:

Jetzt muss die eigentliche Kernfrage von hierzu berufenen Zivilgerichten entschieden werden, ob nämlich die Erbausschlagung sittenwidrig ist. Dies wird noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Die Entscheidung wird sicherlich allgemein von Interesse sein.

Die Sittenwidrigkeit war bereits von anderen Obergerichten bejaht worden. Es bleibt spannend, wie letztendlich die Entscheidung ausfällt. Der Fall zeigt aber wiederum, dass gerade in derartigen Fallkonstellationen die Errichtung eines Testamentes (sogenanntes Behindertentestament) dringend geboten ist.

Landessozialgericht Bayern Beschluss vom 30.07.2015, L 8 SO 146/15 B ER

Bundesgerichtshof Urteil vom 19.01.2011 NJW 2011, 1586; OLG Hamm Beschluss vom 16.07.2009, Beck RS 2009, 22135.

Stand September 2015