Kindergeld für schwerbehindertes Kind

Von Andreas Belz – Steuerberater, Wirtschaftsprüfer – veröffentlicht  in der Recklinghäuser Zeitung

Anforderungen an die Bedürftigkeit dürfen nicht überspannt werden

Kindergeld erhalten Eltern für Kinder, die unter 18 Jahre alt sind oder maximal bis zum 25. Lebensjahr für die Zeit der Ausbildung. Ansonsten wird Kindergeld nur gewährt, wenn ein Kind wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten.

Mit einem tragischen Fall hatte sich jetzt der Bundesfinanzhof zu befassen. Es ging um einen 25 Jahre alten Sohn, der seit dem 7. Lebensjahr an schwerer Epilepsie litt. Das Versorgungsamt hatte einen Grad der Behinderung von 100 anerkannt und die Merkzeichen „G“ (gehbehindert), „B“ (Notwendigkeit ständiger Begleitung), „RF“ (Befreiung von Rundfunkgebühren) sowie „H“ (hilflos) festgestellt. Das Kind lebte zwar in einer eigenen Wohnung, wurde aber regelmäßig von den Eltern betreut, versorgt und unterstützt, zeitweise auch im elterlichen Haushalt. Es war tagsüber im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen eingesetzt und erhielt hierfür rund monatlich 150,00 €. Daneben bezog der Sohn eine Erwerbsunfähigkeitsrente von rund 560,00 €. Der Streit zwischen den Eltern als Kläger und der Familienkasse bezog sich darauf, ob der Sohn im Einzelnen einen konkreten Mehrbedarf wegen seiner Behinderung ansetzen durfte.

Der Bundesfinanzhof hatte ebenso wie das Finanzgericht einerseits den Lebensbedarf berechnet, andererseits die zur Verfügung stehenden Mittel gegenübergestellt. Zum Lebensbedarf zählt der allgemeine Lebensbedarf, auch Grundbedarf, der dem steuerlichen Grundfreibetrag entspricht (für 2008 rund 7600,00 €). Darüber hinaus ist ein individueller behinderungsbedingter Mehrbedarf anzuerkennen. Hierzu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden, außergewöhnlichen Belastungen, wie etwa Aufwendungen für zusätzliche Wäsche, Unterstützungs – und Hilfeleistungen sowie typische Erschwernisaufwendungen. Die Familienkasse vertrat die Auffassung, dass kein individueller Mehrbedarf über den Unterbringungskosten in der gemeinnützigen Werkstatt entstünde. Hier hat der Bundesfinanzhof jedoch auf die Voraussetzungen hingewiesen, die für die Gewährung des Merkmals „H“ (für Hilflosigkeit) erforderlich sind. Eine derartige Behinderung wird nämlich nur anerkannt, wenn die betroffene Person für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz in Ablauf eines jeden Tages auf fremde Hilfe dauernd angewiesen ist. Diese Voraussetzungen sind nicht nur erfüllt, wenn die Hilfe dauernd geleistet wird. Auch dann, wenn eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist, liegen die entsprechenden Voraussetzungen aus der Sicht der Richter vor.

Da das behinderte Kind von den Eltern regelmäßig versorgt wurde und die Eltern auch ständig im Hintergrund bereitstanden, hatte das Gericht nicht die geringsten Zweifel, dass ein individueller Mehrbedarf bestand, und zwar zusätzlich zu der teilstationären Unterbringung in der Behindertenwerkstatt. Dieser Mehrbedarf war höher als die zur Verfügung stehenden Mittel, so dass das Kindergeld von den Eltern zu Recht beansprucht wurde. (Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.02.2012, III R53/10)