Stolperfalle Attest

Von Dr. Thorsten Engel, LL.M. – Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht – veröffentlicht in der Mitarbeiterzeitung des Prosper-Hospitals

Unabhängig von der Feststellung des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 14.11.2012, dass ein Arbeitgeber das Recht habe, vom Arbeitnehmer die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen seiner Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer schon vom ersten Tage der Erkrankung an zu verlangen, stellt sich die Frage, worauf im Übrigen bei der Ausstellung eines ärztlichen Attestes zu achten ist. Eine bloße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, welche keine Angaben über die Art der Erkrankung beinhaltet, stellt kein Problem dar. Jedoch finden sich ärztliche Atteste, in denen einem Arbeitgeber nahegelegt wird, einen Arbeitnehmer zukünftig nur noch unter veränderten Arbeitsbedingungen zu beschäftigen.

Die veränderten Arbeitsbedingungen können sich auf die Arbeitszeit, den Ort der Tätigkeit sowie die Art der zu verrichtenden Tätigkeit beziehen. Insoweit stellt sich die Frage, ob eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers besteht, den Arbeitnehmer zu geänderten Arbeitsbedingungen fortan zu beschäftigen. Eine gesetzliche Regelung enthält § 6 Abs. 4 Satz 1 a ArbZG. Danach hat der Arbeitgeber den Nachtarbeitnehmer auf dessen Verlangen auf ein für ihn geeigneten Tagesarbeitsplatz umzusetzen, wenn nach arbeitsmedizinischer Feststellung die weitere Verrichtung von Nachtarbeit den Arbeitnehmer in seiner Gesundheit gefährdet.

Hierfür ist zunächst eine konkrete Gesundheitsgefährdung erforderlich. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Beeinträchtigung der Gesundheit bei weiterer Verrichtung von Nachtarbeit eintreten. Damit der Arbeitgeber die Berechtigung des Umsetzungsverlangens beurteilen kann, muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die arbeitsmedizinische Beurteilung unter Bezugnahme auf den Arbeitsplatz, nicht jedoch den Untersuchungsbefund nachweisen. Ein Umsetzungsanspruch des Nachtarbeitnehmers auf einen Tagesarbeitsplatz entfällt jedoch, wenn der Umsetzung dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen. Die dem Umsetzungsanspruch entgegenstehenden betrieblichen Gründe sind dringend, wenn die Umsetzung des Nachtarbeitnehmers auf einen Tagesarbeitsplatz bei Abwägung der beiderseitigen Interessen dem Betrieb nicht zumutbar ist. Will der Arbeitgeber dem Umsetzungsverlangen wegen entgegenstehender dringender betrieblicher Erfordernisse nicht entsprechen, so ist er nach § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbZG verpflichtet, die Mitarbeitervertretung zu hören. Die Anhörung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Ablehnung eines Versetzungsverlangens aus dringenden betrieblichen Erfordernissen. Die Anhörungspflicht des Arbeitgebers umfasst die Pflicht des Arbeitgebers, der Mitarbeitervertretung das Umsetzungsverlangen des Nachtarbeitnehmers, die für eine Umsetzung in Betracht kommenden Tagesarbeitsplätze sowie die einer Umsetzung entgegenstehenden Gründe mitzuteilen. Die Mitarbeitervertretung selbst ist berechtigt, dem Arbeitgeber Vorschläge für eine Umsetzung des Nachtarbeitnehmers gem. § 6 Abs. 4 Satz 3 ArbZG zu unterbreiten. Allerdings ist der Arbeitgeber daran nicht gebunden.

Für schwerbehinderte Arbeitnehmer ergibt sich ein weiterer Anknüpfungspunkt für eine gesetzliche Verpflichtung aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX. Danach haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können.

Dieser besonders kodifizierte Beschäftigungsanspruch steht unter dem Vorbehalt, dass seine Erfüllung für den Arbeitgeber zumutbar und nicht mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist, § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX.

Ergibt sich für den Arbeitgeber keine Verpflichtung zur Änderung der Arbeitsbedingungen und tut er dies auch nicht freiwillig, kann/muss der Arbeitnehmer selbst entscheiden, ob er arbeiten will oder nicht. Ein etwaiges Zurückbehaltungsrecht seiner Arbeitsleistung besteht nicht.

Daraus folgt, dass der Arbeitgeber von seiner Pflicht, Arbeitsentgelt zu zahlen, frei wird, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer berechtigt mitteilt, dass ihm eine Änderung der Arbeitsbedingungen nicht möglich oder nicht zumutbar ist und sich der Arbeitnehmer daraufhin entschließt, zu den bisherigen Arbeitsbedingungen nicht weiter zu arbeiten.

Auch hat der Arbeitnehmer in diesem Fall keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 EFZG, da ein ärztliches Attest, dass die Beschäftigung zu veränderten Arbeitsbedingungen nahelegt, nicht die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers impliziert. Kann der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht die vertraglich geschuldeten Arbeitsleistungen erbringen, kommt auch der Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung in Betracht. Steht die ärztliche Empfehlung, der zukünftigen Weiterbeschäftigung unter veränderten Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit Arbeitsunfähigkeitszeiten, die in einem Zeitraum von zwölf Monaten sechs Wochen betragen, ist der Arbeitgeber darüber
hinaus verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen.

Verabsäumt der Arbeitgeber die Durchführung, kann er in einem etwaigen Kündigungsschutzprozess nicht mehr pauschal behaupten, es bestehe keine andere Beschäftigungsmöglichkeit für einen dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer und keine Möglichkeit einer leidensgerechten Anpassung des Arbeitsverhältnisses. Vielmehr ist er dann gehalten, von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz ausscheiden.

Die Vorlage entsprechender ärztlicher Atteste muss wohlüberlegt sein. Es können sich Konsequenzen ergeben, die den beabsichtigten Zielen zuwiderlaufen.